11. Symposium mathe 2000: Wie offen muss, kann, darf aktiv-entdeckender Mathematikunterricht sein?

Seit Comenius im 17. Jh. die Nutzung von Anschauungsmitteln als "goldene Regel" der Didaktik herausgestellt hat, gilt die "Anschauung" als sichere und unentbehrliche Grundlage für Lehren und Lernen. Durch die neueren konstruktivistischen Ansätze in der Lernpsychologie (J. Piaget) und der Mathematikdidaktik wurden die "anschaulichen Methoden" aber mehr und mehr relativiert.Im Symposium soll durch Vorträge und Workshops herausgearbeitet werden, was dies für die heutige Praxis des Mathematikunterrichts bedeutet.

Aktuelles Programm

Eröffnungsvortrag

Prof. Dr. Jörg Voigt, Universität Münster:
Anschauung und Veranschaulichung im Mathematikunterricht

Workshops

Albert Berger, Heiden:
100 be-greifen - Wendeplättchen und Zehnerstäbe im Hunderterrahmen

Prof. Dr. Dagmar Bönig & Kerensa Lee Hülswitt, Universität Bremen:
Mit Kindern Mathematik erfinden: Welche Möglichkeiten bietet die Arbeit mit "Gleichem Material in Großer Menge"?

Dr. Birgit Drolshagen, Dipl.-Inform. Ralph Klein, Markus Schneider, Corinna Steinhoff, Universität Dortmund:
Das Zahlenbuch zum Hören und Fühlen - Ein Medienpaket auch für sehende Schülerinnen und Schüler?

Klaus-Ulrich Guder, Universität Dortmund
Die Hunderter-Tafel

Dr. Joost Klep, National Institute for Curriculum Development (SLO), Enschede
Anschauung und Computer

Ulrike Lambert, Wuppertal
Das (erweiterte) Millionenbuch

Ute Plötzer, Studienseminar Primarstufe Essen
Wendeplättchen & Co.: mehr als nur Hilfsmittel zum Rechnen

Ulrich Schwätzer, Albrecht-Brinkmann-Grundschule, Dortmund
1x1 - ein strukturierter, an Anschauung orientierter Zugang

Dr. Anna S. Steinweg, Universität Dortmund
1 ist nicht gleich 1 ?! - Plättchen im Sachrechnen nutzen

Prof. Dr. Dr. h.c. Erich Ch. Wittmann, Universität Dortmund
Plättchen bei schriftlichen Rechenverfahren: Hilfe oder Hindernis?

Abschlussvortrag

Prof. Dr. Heinz Steinbring, Universität Dortmund:
Mathematische Anschauungsmaterialien: Objekte zum Anschauen oder Mittel zur Entwicklung der Anschauungsfähigkeit?

Hauptvorträge

Prof. Dr. Jörg Voigt, Universität Münster:
Anschauung und Veranschaulichung im Mathematikunterricht

Mathematik ist nicht greifbar und doch mittels Bilder begreifbar. Allerdings sind mathematische Objekte und Zusammenhänge nicht direkt abbildbar. Kinder entwickeln private Bilder, und sie können an den öffentlichen Bildern, an den im Unterricht eingesetzten Bildern, anderes als das Gemeinte erkennen. Wenn sich zwischen Kindern und Lehrpersonen ein gemeinsames mathematisches Wissen entwickeln soll, bedarf es der Verständigung zwischen ihnen an den Bildern.

Der Vortrag konkretisiert Forschungsergebnisse der Mathematikdidaktik an eigenen Bildern von Kindern, an ihren Reaktionen auf offizielle Bilder und an Unterrichtsszenen der Verständigung über die Bilder.

Prof. Dr. Heinz Steinbring, Universität Dortmund:
Mathematische Anschauungsmaterialien: Objekte zum Anschauen oder Mittel zur Entwicklung der Anschauungsfähigkeit?

Den Kindern der Grundschule wird z.B. für den Erwerb des elementaren Zahlbegriffs eine Fülle konkreter Anschauungsmaterialien angeboten, die das Verstehen arithmetischer Objekte, Operationen und Beziehungen problemlos und kinderleicht machen sollen. Die Materialien scheinen das zu lernende Wissen in direkt zugänglicher Weise zu enthalten und brauchen nur richtig angeschaut zu werden. Andererseits kann man aber mathematische Begriffe - die Bausteine mathematischen Wissens - weder mit den eigenen Augen sehen, noch mit seinen Händen konkret anfassen. Auch mit Hilfe wissenschaftlicher Instrumente, z.B. einem Fernglas oder einem Mikroskop, sind mathematische Begriffe nicht auffindbar. Sie bleiben der direkten sinnlichen Erfahrung des Menschen prinzipiell verschlossen. Der fundamentale Gegensatz zwischen der grundsätzlichen, sinnlichen Unzugänglichkeit mathematischer Begriffe und der Notwendigkeit in Lernprozessen, mathematische Phänomene etwa durch Anschauungsmaterialien der Wahrnehmung zugänglich zu machen, hat folgende Konsequenz: Veranschaulichungen, Visualisierungen und Verkörperungen von nicht sichtbarem mathematischen Wissen besitzen ganz eigene Charakteristika, die sich von unmittelbaren, alltäglichen sinnlichen Erfahrungen wesentlich unterscheiden. Darüber soll der Vortrag berichten.

Workshops

Albert Berger, Heiden:
100 be-greifen - Wendeplättchen und Zehnerstäbe im Hunderterrahmen

Mit diesem Anschauungs- und Arbeitsmaterial werden die grundlegenden mathematischen Ideen und Problemstellungen vom Anfangsunterricht bis zur operativen Erarbeitung des Tausenderraumes einfach umsetzbar und be-greifbar. Mit dem konkreten Material können Spiele durchgeführt werden, mathematische Gesetzmäßigkeiten erkannt, halbschriftliche Strategien demonstriert sowie individuelle Lösungen gezeigt und besprochen werden.  

Prof. Dr. Dagmar Bönig & Kerensa Lee Hülswitt, Universität Bremen:
Mit Kindern Mathematik erfinden: Welche Möglichkeiten bietet die Arbeit mit "Gleichem Material in Großer Menge"?

Wenn Kindern Raum gegeben wird, Mathematik selbst zu kreieren, entsteht nicht nur ein emotionaler Bezug zu diesem Fach - es entstehen auch Produkte, die sich als "Erfindung" sehen lassen können. Anhand konkreter Erfindungen von Grundschulkindern möchten wir in diesem Workshop aufzeigen, welche mathematischen Einsichten durch die Arbeit mit "Gleichem Material in Großer Menge" angebahnt werden können. Dabei soll zum einen Gelegenheit zum Sammeln eigener Erfahrungen mit diesem Prinzip geboten werden, zum anderen werden Dokumente aus Schul- und Förderunterricht zur Diskussion gestellt.  

Dr. Birgit Drolshagen, Dipl.-Inform. Ralph Klein, Markus Schneider, Corinna Steinhoff, Universität Dortmund:
Das Zahlenbuch zum Hören und Fühlen - Ein Medienpaket auch für sehende Schülerinnen und Schüler?

Im Mittelpunkt dieses Workshops steht das Zahlenbuch als ein verschiedene Sinne ansprechendes Medienpaket, das im Rahmen eines Projekts an der Fakultät Rehabilitationswissenschaften der Universität Dortmund entwickelt wird. Das Medienpaket besteht aus einer Vielzahl taktiler und akustischer Elemente und wurde ursprünglich mit dem Ziel, ein attraktives Mathematikbuch für blinde Schülerinnen und Schüler zu schaffen, konzipiert. Suchbilder zum Hören oder Mengenaufgaben zum Fühlen u. ä. regen zum Lernen mit allen Sinnen an und könnten daher auch wertvolle Einsatzmöglichkeiten im Unterricht mit nicht sehgeschädigten Kindern bieten. Im Anschluss an die Vorstellung des Medienpaketes sollen Einsatzmöglichkeiten sowie Vorschläge zur weiteren Ausgestaltung diskutiert werden.  

Klaus-Ulrich Guder, Universität Dortmund
Die Hunderter-Tafel

Obwohl die Hunderter-Tafel die Zahlen zwischen 1 und 100 in dezimaler Schreibweise, also in symbolischer Notation, repräsentiert, kann sie durch räumliche Anordnung der Symbole als Anschauungsmittel eine Grundvorstellung des Dezimalsystems generieren. Insofern ist die Hunderter-Tafel ein Beispiel für ein abstrakteres Objekt, das jedoch trotzdem als Anschauungsmittel dienen kann. Im Workshop sollen verschiedene Verwendungen der Hunderter-Tafel ((2.), 3., 4. Schuljahr) vorgestellt und entwickelt werden, die eine vertiefte Einsicht in das Dezimalsystem ermöglichen.  

Dr. Joost Klep, National Institute for Curriculum Development (SLO), Enschede
Anschauung und Computer

Neue Medien eröffnen neue Möglichkeiten für die Anschauung im Mathematikunterricht. Der Einsatz von Computerprogrammen ermöglicht es den Lehrerinnen, Darstellungen und Ausdrucksmöglichkeiten gegenstands- und schülergemäß zu behandeln. Das Erklären wird durch Simulieren, Modellieren von Strukturen und Entwerfen von Verfahren mit Darstellungen unterstützt, die von den Schülern manipuliert werden können. Im Workshop werden Beispiele aus didaktischen Kontexten (7-10 Jährige) zur Diskussion gestellt: das Üben von Verfahren, gemeinschaftliches Modellieren in einer Gruppe und (gemeinschaftliches) Entwerfen von Rechenverfahren.  

Ulrike Lambert, Wuppertal
Das (erweiterte) Millionenbuch

In Anbetracht des gewaltigen Arbeitsaufwandes, im vierten Schuljahr (wie es die Autoren des Zahlenbuchs vorschlagen) ein Millionenbuch zu erstellen, wurde ein stabiles, wieder verwendbares Millionen-Leporello entwickelt, das zusätzlich auch ein differenzierendes Arbeiten im Einer- Zehner- und Hunderterraum ermöglichst und leistungsschwächeren Kindern hilft, den Zusammenhang zwischen "kleinen" und "großen" Zahlen handelnd zu entdecken. Im Workshop soll die Herstellung und Verwendung des erweiterten Millionenbuchs vorgestellt und diskutiert werden.  

Ute Plötzer, Studienseminar Primarstufe Essen
Wendeplättchen & Co.: mehr als nur Hilfsmittel zum Rechnen

Über die Veranschaulichung grundlegender Rechenoperationen hinaus können mit Hilfe von Plättchen oder Punktmustern mathematische Begriffe und Zusammenhänge begründet werden. Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Plättchen sollen anhand von Aufgabenstellungen für das 1.- 4. Schuljahr betrachtet und diskutiert werden. 

Ulrich Schwätzer, Albrecht-Brinkmann-Grundschule, Dortmund
1x1 - ein strukturierter, an Anschauung orientierter Zugang

Mit Hilfe von strukturierten Darstellungsmitteln wie z.B. dem Hunderterpunktefeld oder der 1x1-Tafel und daran angelehnten bzw. damit verknüpften Eigenpoduktionen erschließen sich Zweitklässler ihren Zugang zum Einmaleins; Kennen kommt vor Können; Verstehen struktureller Zusammenhänge vor der Rechenfertigkeit.  

Dr. Anna S. Steinweg, Universität Dortmund
1 ist nicht gleich 1 ?! - Plättchen im Sachrechnen nutzen

Eine Grundidee des Mathematikunterrichts der Grundschule ist das Mathematisieren, d.h. die Übersetzung einer Sachsituation in mathematische Sprache. Für eine möglichst frühzeitige Heranführung der Kinder an diese Idee sind Plättchen als Anschauungsmaterial vielfältig geeignet. Einige Bespiele dazu sollen gemeinsam gelöst und problematisiert werden.  

Prof. Dr. Dr. h.c. Erich Ch. Wittmann, Universität Dortmund
Plättchen bei schriftlichen Rechenverfahren: Hilfe oder Hindernis?

Die Verwendung von Plättchen bei der Einführung der schriftlichen Rechenverfahren hat eine lange Tradition. Trotzdem spricht Einiges dafür, auf andere Begründungen zurückzugreifen, die der "theoretischen Natur" mathematischer Begriffe besser gerecht werden und für den weiteren Unterricht tragfähiger sind. Im Workshop soll das Für und Wider diskutiert werden.